Pro Ecclesia Vortrag
Luzern – 21. November 2020
«Herr, lehre uns beten!» (Lk 11.1)
Gelobt sei
Jesus Christus!
Ich habe
nicht gefragt, wer und warum den Titel für meinen heutigen Vortrag bestimmt
hat. Aber ich muss sagen, dass „Herr,
lehre uns beten“ aus Lk 11,1 mir ausserordentlich gut gefällt. Ich finde
diese Wahl geradezu als ein Geschenk der Vorsehung. Fast überall in der
westlichen Kirche wird darüber nachgedacht und diskutiert, was es gegenwärtig
brauche für eine wirkliche Erneuerung des Glaubens. Damit ist das Thema des
Gebetes im Leben der Christen eine sehr aktuelle Frage. Eigentlich geht es um
nichts anderes als um die Frage, was es brauche, um der katholischen Kirche
unserer Tage das Leben zurückzugeben.
Ich sage
dabei absichtlich „zurückgeben“ und verstehe es in dem Sinne, dass die
katholische Kirche nicht „Star Trek“
ist, wo das „Starship Enterprise“
dorthin aufbricht, wo bisher noch nie jemand gewesen ist. Die Erforschung
unbekannter Welten ist nicht die erste Aufgabe des mystischen Leibes Christi.
Es bringt absolut nichts für das konkrete Leben in dieser Welt, wenn wir die
Aufmerksamkeit auf irgendetwas Undefiniertes, auf ein leeres Nichts richten und
das „Zukunft“ nennen. Unser Herr Jesus Christus nennt sich selbst den Weg, die
Wahrheit und das Leben. Die Wahrheit ist keine freie Erfindung und kann es auch
nicht sein. Der Herr der katholischen Kirche ist Jesus Christus, welcher in
dieser Geschichte gelebt hat (vor ca. 2000 Jahren) und diese Kirche lebt aus
einer durchgehenden, kontinuierlichen Tradition, welche ihren geschichtlichen
Ursprung hat im Sohn Gottes, der Mensch geworden ist. Die Kirche geht aus
Christus hervor und schreitet durch die Zeit in einer dem Ursprung treuen
Traditionsspur, welche durch die Kirche selbst, die Braut Christi, gelegt wird.
Unser Glaube ist ein traditioneller Glaube. Entweder ist unser Glaube fest
verwurzelt in der Vergangenheit oder er ist nichts anderes als ein Scherz, eine
Erfindung von einer verwirrten Generation. Ich hoffe, dass meine Position, die
einzig gangbare, klar und verständlich ist.
Ich möchte es
noch einmal sagen: Das gewählte Thema passt wunderbar auch zu dem, was Pro
Ecclesia Schweiz auf ihrer Webseite unter Vision und Bekenntnis schreibt: „Die
Katholische Volksbewegung Pro Ecclesia will den Katholischen Glauben sowie das
Glaubens- und Gebetsleben ihrer Mitglieder stärken und ein Bewusstsein für die
Grundwerte des christlich-abendländischen Erbes schaffen.“ Ich hoffe, dass
ich heute etwas zur Stärkung dieser Vision beitragen kann. Es ist klar, dass
sich eine solche Vision nur in einem bewusst gestalteten Leben verwirklichen
kann. Ein solch bewusstes Leben muss verwurzelt sein im Gebet. Daher der Ruf: «Herr, lehre uns beten!»
Einige
schlagen vor, dass vielleicht andere Elemente prioritär zu behandeln wären für
eine Erneuerung des Glaubens im Westen. Sie sagen oft, dass es eine neue Reform
oder eine Restauration der alten Liturgie brauche. Andere bieten weltliche
organisatorische Projekte an, um den Einsatz der Kirche in der Gesellschaft
besser zu organisieren. Andere möchten immer noch die protestantische
Reformation vollenden und merken nicht, dass die Nachfolger von Luther, Zwingli
und Calvin schon seit längerer Zeit in denselben, Schwierigkeiten stecken wie
wir, wenn nicht sogar in noch viel grösseren. Tatsächlich scheint die Krise im
liberalen Protestantismus am schlimmsten zu sein.
Mir scheint
das Schlüsselelement – ich verwende das Wort „Schlüssel“ dabei geradezu
Zeichenhaft – dieses Schlüsselelement für eine Erneuerung der katholischen
Kirche müsste geradezu in einer Wiederentdeckung der Bedeutung des Gebetes für
das tägliche Leben aller Gläubigen sein. Das Gebet ist das Zentrum des Lebens
der Kirche und daher auch das Zentrum des Lebens jedes einzelnen Katholiken. «Herr, lehre uns beten!»
Warum das?
Weil ich kein anderes Element im Christlichen Leben kenne, das wichtiger wäre.
Noch mehr: Ich sehe überhaupt kein anderes Element für ein Leben in der
Nachfolge Christi. Es ist vor allem das Gebet, welches heute im Leben der
Katholiken fehlt. Die Menschen gehen wenig zur Messe, besuchen wenig die Kirche
und vor allem beten sie zu wenig, um in ihrem Leben eine wirklich persönliche
Beziehung zu Gott zu haben, der sie zu sich ruft. Ich sage nicht, dass es
einfach oder selbstverständlich zur säkularisierten Lebensweise passend sei, als
betender zu leben. Ich möchte nur und einfach sagen, dass das regelmässige und
beständige Gebet das Element ist, welches den Gläubigen von den Bösen
unterscheidet.
Wenn ich das
so sage, so will ich dabei nicht andere Probleme oder Schwächen leugnen wie
z.B. die offensichtliche Krise der traditionellen Familie nicht nur in der
Gesellschaft, sondern auch bei den Katholiken. Das Auseinanderfallen der traditionellen
Familie mit Vater, Mutter und Kindern welche in Beziehung stehen mit der
erweiterten Familie der Grosseltern, Onkeln und Tanten, Cousin und Cousinen,
also mit der Häuslichen Gemeinschaft auch über die Generationen hinaus und
daher in die Geschichte hinein. Die Krise dieser Familie ist eine wirkliche
Tragödie erster Kategorie. Die Familie mit allen ihren klassischen Elementen
kann nicht ohne Christus leben. Die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott und
mit allen Heiligen prägt wesentlich unsere irdische Familie. Die Familie ist
eine Gemeinschaft, die betet. Ohne das Gebet ist die Familie nicht vollständig,
d.h. nicht Familie im eigentlichen Sinn des Wortes. Vom göttlichen Recht her
kann man nicht sagen, dass die Pfarrei der Kern des kirchlichen Lebens ist. Der
Kern des kirchlichen Lebens ist die Familie, die kleine Kirche. Daher
wiederhole ich noch einmal: Das Schlüsselelement für die Erneuerung der
Katholischen Kirche muss die Wiederentdeckung des Gebetes durch alle sein: die
Wiederentdeckung des Gebetes im Herzen der Institution Kirche und im Herzen des
täglichen Lebens der einzelnen Katholiken. «Herr,
lehre uns beten!»
Um diesen
Vortrag auch gut zu gestalten muss ich zum Wesentlichen zurückkehren und auf
einige Grundlegende Punkte des Gebetes zu sprechen kommen:
A. Definieren,
was ich unter „Gebet“ verstehe.
B. Aufzeigen,
warum ich glaube, dass heutzutage der „Geist des Gebetes“ fehlt.
C. Beschreiben,
was es bedeutet, eine Gebetsatmosphäre wiederzugewinnen oder wie ich mir die
Kirche als Schule des Gebetes vorstelle.
D. Im Licht der
Natur der Kirche Christi selbst erklären, warum die Durchdringung des Täglichen
Lebens der Gläubigen mit Gebet das Schlüsselelement für die Erneuerung der
Kirche ist.
* * *
Beginnen wir
also mit diesen 4 Punkten, einer nach dem andern.
A. Was verstehe ich unter „Gebet“ ?
Die
allgemeine Definition ist immer anwendbar, unabhängig, ob ich vom privaten
Gebet des Einzelnen, vom informellen Gebet einer Gruppe, vom formellen
liturgischen Gebet als dem Stundengebet oder ob ich von der Messe spreche. Es
spielt keine Rolle, wie ich bete. Das Gebet ist immer das Erheben unseres
Herzens und unseres Sinns zu Gott hin. Das Gebet ist immer intentional und die
Intention ist auf eine Person ausgerichtet, auf Gott, auf den einzigen Gott in
drei Personen. Auch wenn wir auf die Fürbitte Marias, der Engel oder der
Heiligen beten, ist unser Gebet auf Gott ausgerichtet. Auch wenn wir uns den
Seelen im Fegefeuer empfehlen, ist das eine Handlung, die wir wegen unserer Sehnsucht
nach dem einzigen lebendigen und waren Gott vollbringen. Das Gebet ist immer
ein Erheben unseres Herzens und unseres Verstandes auf Gott hin, den wir in
Jesus Christus kennen und durch ihn erkennen.
Der alte
Katechismus kennt, ebenso wie auch der neue, folgende Formen des Gebetes:
Anbetung, Dankgebet, Reue/Reuegebet und Bittgebet.
Die Anbetung beinhaltet die Anerkennung,
welche Gott dem dreifaltig-einen allein gebührt: Dem Schöpfer von allem und
allen, dem Erlöser der Welt und dem Lebendigmacher, welcher uns in seiner Gnade
zum Leben führt.
Das Dankgebet entspringt wesentlich aus der
Anerkennung, dass Gott aktiv und gegenwärtig in dieser Welt und in unserem
Leben wirkt, besonders für unsere Bedürfnisse und unseren Trost. Wir sind
Dankbar für seine Gaben.
Die Reue / das Reuegebet ist die Anerkennung
nicht nur des Mangels an Dankbarkeit Gott gegenüber, sondern auch der Ausdruck
der Trauer, über unsere Sünden, seien es nun Taten gegen das göttliche Gesetz
oder schlechte Gedanken einerseits oder seien es andererseits Unterlassungen
unserer Pflichten gegenüber Gott oder dem Nächsten. Dieses Bussgebet kann
unvollkommen sei, das heisst aus Angst vor dem drohenden Gericht oder vollkommen,
d.h. motiviert durch Erkenntnis, dass wir die Liebe Gottes enttäuscht haben. In
beiden Formen sieht man sofort, dass die anfangs erwähnte Beschreibung
zutrifft: Hinwendung zu Gott.
Das Bitt- oder Fürbittgebet anerkennt Gott als den
Ursprung alles Guten, d.h. als denjenigen, von welchem wir voll und ganz
abhängig sind. Das Bitten um Gaben bringt uns mit ihm in Beziehung, immer
richtig und gerecht, weil wir Gott als den bekennen, der er ist.
Diese vier
Formen des Gebetes dürften für die Anwesenden nicht völlig neu sein. Aber sie sind
so grundlegend und bedeutend, dass es mir wichtig war, kurz diese vier Aspekte
des Gebetes in Erinnerung zu rufen: Die Anbetung, der Dank, die Reue und die
Bitte. Alle vier sind gleichermassen wichtig. Es wäre falsch, denjenigen zu
kritisieren, der seine Zeit mit Bittgebeten verbringt. Denn wer Gott um etwas
bittet, der anerkennt Gott als den, den er wirklich ist: den Herrn des Lebens.
Die Seele des bittenden Beters bittet mit einem dankbaren Herzen, voll Anbetung
und in Reue über die begangenen Sünden. Wenn dem nicht so wäre, dann könnte
diese Seele gar nicht so bitten, wie es angemessen ist.
B. Warum ich glaube, dass heutzutage der
„Geist des Gebetes“ fehlt.
Einerseits
glaube ich, dass der Mangel an „Gebetshaltung“ im Leben vieler Katholiken heute
(Laien, aber ebenso Ordensleute, Priester und sogar Bischöfe) offensichtlich
mit den vielen Zerstreuungen zusammenhängt, denen wir heute ausgesetzt sind.
Unser Leben ist von morgens bis abends von modernen Technologien begleitet.
Denken wir nur an all die technischen Hilfsmittel, die selbst unser
Alltagsleben durchdringen. Da ist es gar nicht einfach, in tiefer innerer
Sammlung zu leben. Die Liste der Dinge und technischen Hilfsmittel, die uns
ablenken und die zwischen uns und Gott stehen ist lange. Es ist heute gar nicht
einfach, sich Gottes liebende Gegenwart bewusst zu werden. Hierzu nur zwei kleine
Beispiele, die für zwei unterschiedliche Generationen stehen: Der Fernseher für
die alten Menschen und das Smart-Phone für die jüngeren Erwachsenen. Ich will
damit nicht den Wert verleugnen, den diese technischen Hilfsmittel für unser
Leben haben. Aber mit den Vorteilen kommen auch die nicht wenigen Nachteile.
Für ältere
Menschen ist der Fernseher die grosse Zerstreuung oder der grosse Eindringling,
welcher unsere Möglichkeiten zur Sammlung und zur intimen Gemeinschaft mit Gott
zerstört. Noch einmal im Beispiel: Als ich auf der Suche war nach einem zu
Hause in den Vereinigten Staaten für die Zeit der Pensionierung, da habe ich online viele Häuser angeschaut, die zum
Verkauf standen. In fast allen diesen Häusern, in denen oft ältere Menschen
lebten, da war ein Fernseher nicht nur im Wohnzimmer, sondern auch im Arbeitszimmer,
im Schlafzimmer und sogar in der Küche und im Bad. Ich habe den Eindruck, dass
diese Menschen nie für sich alleine sind, nie ohne einen Hintergrund der
Zerstreuung durch elektronische Klänge und Bilder.
Für jüngere
Menschen mache ich wiederholt Beobachtungen, wenn ich in Bern spazieren gehe,
vor allem im Wald oder hinter meinem Haus oder an der Aare beim Tierpark. Hier
fällt mir auf, dass vor allem die jungen Väter immer das Handy in der Hand
halten. Diese Männer zwischen 20 und 40 Jahren sind mit ihren eigenen Gedanken durchaus
beschäftigt, aber sicher nicht mit den Menschen, die an ihrer Seite spazieren –
Ihre Freunde und Freundinnen, ihre Ehefrauen und Kinder. Echte persönliche
Beziehungen, auch die Beziehung zu Gott, werden verunmöglicht durch die
laufende Beschäftigung mit Texting
und dem Willen, stets die Nachrichten und Mitteilungen unter Kontrolle zu
haben. Ich muss gestehen, dass auch ich manchmal dieser Versuchung erliegen –
auch wenn ich in der Regel alleine am Spazieren bin. Heutzutage bestimmen die
technischen Hilfsmittel zu sehr unseren konkreten Alltag – auf jeden Fall
scheint es mir so.
Vielleicht
ist es sogar besser, dass die Dinge so sind, wie sie sind, das heisst, dass die
Symptome unserer Zerstreuung offensichtlich werden. Der Gebrauch und Missbrauch
der technischen Hilfsmittel macht den Grad unserer Zerstreuung noch viel erkennbarer.
Vor 50 Jahren war es viel schwieriger, einem Menschen zu begegnen, dem man den
Vorwurf machen konnte, ein „Tagträumer“ zu sein. Heute mache ich öfters die
Beobachtung, dass drei bis vier Personen auf einer Bank an einer Wegkreuzung im
Wald sitzen können und jeder ist über sein Smartphone gebeugt, ohne die andren
Menschen Wahrzunehmen, die an ihnen vorbeispazieren. Wie kann da noch Platz im
Herzen sein um zu beten, um an Gott zu denken? «Herr, lehre uns beten!»
Der
Ehrlichkeit halber muss ich eingestehen, dass die Beschreibung der Zerstreuung
und die „Gebetslosigkeit“ im Leben
von einzelnen Katholiken noch kein Beweis dafür ist, dass das Gebet als solche in
der Kirche fehlt. Die Frage, die wir uns stellen müssen: Ist es möglich, in der
Kirche eine Gebetsatmosphäre zu finden, ohne dass wir Spuren davon auch im
Leben der einzelnen Gläubigen finden? Die Enttäuschung vieler guter Katholiken
über den Mangel an frommer Hingabe bei der Feier der Hl. Messe ist für mich
auch ein Anzeichen für eine Krise des Gebetes auf der Ebene der Gemeinschaft
und der Institution. Wenn du nicht betest – wie kann dann die Kirche beten?
C. Was bedeutet es, eine
Gebetsatmosphäre wiederzugewinnen - oder wie ich mir die Kirche als Schule des
Gebetes vorstelle.
Die Diagnose
des Problems ist hier vielleicht der kritische Punkt. Ich muss gestehen, dass
auch ich selbst nicht selten zerstreut bin. Ich lebe nicht immer im Bewusstsein
dass Gott in Christus in meinem Leben gegenwärtig ist. Manchmal ist es sogar
so, dass ich aus eigener Schuld nicht die geringste Anstrengung unternehme, um
mein Leben für Christus zu öffnen. Ich bin zerstreut, d.h. weit davon entfernt,
meine Gedanken gesammelt zu haben. Ist das schlimm? Um auf diese Frage zu
antworten möchte ich einen Vergleich ziehen mit dem Verzicht auf eine sündhafte
Gewohnheit, auf irgendein Laster: Trägheit, Knausrigkeit (Geiz), Gewalt mit
Worten oder Taten gegen andere. Es ist nicht immer leicht für uns selber, unser
Gewissen zu erforschen, d.h. in den Spiegel zu schauen und konkret und präzise
unsere Sünden zu erkennen. Im Falle von schweren Sünden oder Todsünden sind es
Taten, Worte oder Unterlassungen, die uns objektiv von Gott trennen. Der Mann,
der seine Frau oder die Kinder schlägt, täuscht sich, wenn er meint, dass diese
Schläge mit seiner Liebe zu ihnen vereinbar seien. Wenn er schlägt, dann liebt
er eben nicht, dann hat er gebrochen mit ihnen und auch mit Gott.
Die Schwere
der Sünde ist in diesem Sinne definierbar als grosse, oder ja als Todsünde.
Objektive Kriterien bestimmen hier die Sünde und lassen sie nicht wegleugnen,
unabhängig von eingeschränkter Freiheit, selbst verschuldeter oder
unverschuldeter Unwissenheit. Es gibt Dinge, die einfach Sünde sind und Sünde
bleiben: z.B. Ehebruch, Abtreibung… Fehlende Freiheit kann solche Handlungen in
gewissen Situationen manchmal verständlich machen, aber sie sind nie zu
rechtfertigen oder zu verharmlosen. Ähnliches lässt sich über die “Gebetslosigkeit” und sogar über die
gewohnheitsmässige Zerstreuung sagen, welche de facto Gott aus meinem Herzen und meinen Gedanken ausschliessen.
Viele von uns
brauchen Exerzitien oder zumindest einen Besinnungstag, um uns wieder auf den
Weg dieser Askese zu begeben, welcher den Verzicht auf unsere Zerstreuungen
beinhaltet und unser Leben für die Gegenwart Gottes öffnet. Ich erinnere hier
gerne an die Episode, wo Jesus lehrte über einen Besessenen der von den Dämonen
befreit wurde. Er war nun rein und frei, aber ohne sein Herz mit Gott zu füllen.
So kehrten die Dämonen zurück. Wir reinigen das Haus nicht deswegen vom
Schmutz, um einfach ein leeres Haus zu haben. Wir wollen ein schönes Haus. So
müssen wir Gott einkehren lassen in das Haus unseres Herzens und unserer
Gedanken. Wir reinigen unser Herz und unsere Gedanken und ersetzen unsere
Zerstreuungen mit einem Leben des Gebetes und wir beginnen damit, dass wir
Gebete aus dem Schatz der Kirche beten. Wir sprechen diese Gebete mit lauter
Stimme und wenn das nicht möglich ist, wenigstens durch stilles bewegen der
Lippen. Nach der Reinigung des Herzens und des Verstandes folgt die formale
Einladung an Gott, zu uns zu kommen und bei uns zu sein.
“Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich;
wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. Wenn ein unreiner Geist aus dem
Menschen ausfährt, durchwandert er wasserlose Gegenden, um eine Ruhestätte zu
suchen, findet aber keine. Dann sagt er: Ich will in mein Haus zurückkehren,
das ich verlassen habe. Und er kommt und findet es sauber und geschmückt. Dann
geht er und holt sieben andere Geister, die noch schlimmer sind als er selbst.
Sie ziehen dort ein und lassen sich nieder. Und die letzten Dinge jenes
Menschen werden schlimmer sein als die ersten.“ (Lk 11:23-26)
Es hat heute
viel zu viele Menschen, auch getaufte, die nicht wissen, wie man das
Kreuzzeichen macht, die das Gegrüsset seist du Maria, das Vater unser oder das
Ehre sei dem Vater nicht kennen. Es fragt sich schon wie sich diese Menschen
„gute“ oder „unschuldige“ Christen nennen können – mit dieser Leere im Leben.
Sie schenken Gott am Morgen nicht die geringste Aufmerksamkeit und geben kein
Anzeichen, dass sie den Tag mit und für Gott verbringen möchten. Sie bitten nie
um den Schutz ihres Schutzengels in den Gefahren der Zeit. Sie machen kein
dankbares Tischgebet, bevor sie essen. In der Praxis, im konkreten Leben sind
sie Atheisten, ohne Gott und daher auch ohne die übernatürliche Liebe. Wenn so
jemand einen Rosenkranz bei sich trägt, nicht zufällig vergessen in einer Schublade,
dann ist es sicher eine Dekoration am Rückspiegel des Autos. «Herr, lehre uns beten!».
Was empfehle
ich heute jedem Getauften als Schule des Gebetes? Eine Doppelte Anstrengung: a)
einerseits die Zerstreuungen aus unserem Leben entfernen, aber nicht einfach
nur um mit der Sünde und der Banalität zu brechen, sondern b) anderseits auch
um den gewonnenen Freiraum Schritt für Schritt zu füllen mit Gebeten aus dem
reichen Schatz der Kirche. Diese Gebetsformeln schaffen Raum, um über den Gott
nachzudenken, der uns liebt.
In der
Fastenzeit hat mich eine kleine Gruppe Schweizer Männer darum gebeten, ihr
90-tägiges Exerzitien-Programm (Es nennt sich EXODUS 90) geistlich zu begleiten.
Das Programm ist auf Englisch leicht zugänglich mit einer „app“ auf dem
Smartphone. Die in diesem Programm empfohlenen Übungen sind dazu bestimmt, sich
von der Sünde, den Zerstreuungen und dem bequemen Leben zu lösen. Dies
geschieht durch Gebetszeiten, kurze Lesungen in der Hl. Schrift oder im
Katechismus, den Besuch der Sonntäglichen Messe und dem Empfang des
Busssakramentes, dem Gebet vor dem Allerheiligsten, usw. Das Programm mag
extrem erscheinen, aber es versucht nichts anderes, als für jeden einzelnen den
minimalen Raum zurückzugewinnen, den es braucht um Christus, den
Menschgewordenen Gott ins Zentrum unsers Lebens zu stellen.
Vielleicht
können wir so etwas nicht alleine schaffen. So empfehle ich Ihnen, andere zu
suchen, die uns bei unseren guten Vorsätzen ermutigen. Solidarität! Das Ziel wäre,
die Prioritäten in unserem Leben so neu zu setzen, dass wir das Unnötige und
Überflüssige aus unserem Leben verbannen, um Raum und Zeit für Gott zu
bekommen.
D.
Im
Licht der Natur der Kirche Christi selbst erklären, warum die Durchdringung des
alltäglichen Lebens der Gläubigen mit Gebet das Schlüsselelement für die
Erneuerung der Kirche ist.
Am Ende ist
es eine Frage auf Leben und Tod. Was war die Ursünde von Adam und Eva und was
sind die Konsequenzen, welche wir von ihnen geerbt haben? Ihre Sünde war der
Ungehorsam gegen den ausdrücklichen Willen Gottes. Als Gott unsere Urahnen in
den Garten Eden gesetzt hatte, da hat er ihnen nur ein Gebot gegeben: „Wenn du
leben willst, so darfst du nicht vom Baum in der Mitte des Gartens essen …“
Adam und Eva haben sich der Allgegenwart Gottes entzogen. Sie haben dem Spender
allen Lebens misstraut und sein Gebot missachtet. Sie haben ihren Schöpfer aus
ihrem Herzen und ihren Gedanken verbannt. Die Schwere ihrer Sünde wurde
offensichtlich, denn vor der Sünde lebten sie in ständiger ungetrübter
Gemeinschaft mit Gott.
Die Feinde
der Kirche – die daher auch die Feinde Gottes sind – versuchen, die Kirche Gottes
unsichtbar zu machen. Sie schliessen die Türen der Kirche und versuchen die
Zeichen zu entfernen, welche die Kirche von aussen als solche erkennbar machen.
Vandalen zerstören die Kreuze auf den Landstrassen und entfernen die Statuen,
besonders der Mutter Gottes, welche die Plätze und Gebäude der Städte zieren.
Die Kirche,
die Braut Christi und sein Mystischer Leib wirken wie ein Leuchtturm in der
Welt. Sie führen die Welt zur sicheren Pforte der Gemeinschaft mit Gott. Als
Licht oder Stadt auf dem Berg existiert die Kirche wirklich gerade deshalb, um
die Welt an die Gegenwart des Schöpfers und Erlösers der Welt zu erinnern und
zu ihm zurückzurufen. Er allein gibt uns schon in dieser Welt das Leben und
führt uns zum Leben in seinem ewigen Reich. Wir sprechen ja von der
christlichen Familie als der kleinen Kirche, insofern die Familie ihren
Mitgliedern eine schöne und dauernde Begegnung mit Christus ermöglicht, der uns
mehr liebt, als wir uns selbst.
Im Vergleich
dazu zählt nichts, was über die Kirche gesagt oder geklagt wird. Die Kirche ist
unser Weg in dieser Zeit und durch diese Zeit hin zur Herrlichkeit Christi am
Ende der Zeiten. Ich habe nicht die geringste Sympathie oder Mitleiden für die
Leute, welche den Akzent der Kirche auf ihre Soziale Bedeutung legen und dabei
den Geist des Gebetes und die Wirkung der Sakramente vernachlässigen. Der
Heilige Franziskus hat auch dann nicht aufgehört zu beten, als er die
Aussätzigen umarmt und geküsst hat. Der Hl. Dominikus und der Hl. Bernhard von
Clairvaux haben Tag und Nacht nicht aufgehört zu beten. Die Dienste, die der
Heilige Bruder Klaus für sein Land erwiesen hat konnten nichts anderes sein als
die Früchte seines dauernden Gebetes in seiner Zelle im Ranft.
Warum
schwankt die Kirche heute so sehr? Warum fehlt es an Berufungen zum Priestertum
und zum geweihten Leben, aber auch zur christlichen Ehe? Die Sünde, der Teufel
spielt seine Rolle. Aber, so möchte ich sagen, hauptverantwortlich sind die
leeren Köpfe und Herzen der Getauften, die nicht beten. «Herr, lehre uns beten!»
Beginnen wir
also mit den klassischen Übungen, mit den einfachen Dingen. Der Rest – Gott
wird schon unsere Bitten erhören.
Ich hoffe,
dass meine Botschaft nicht zu hochgestochen war für meine Zuhörer. Vergesst
nicht, dass die Probe der Gottesliebe die ist, dass sie sich auch oder sogar
vor allem an die kleinen und kleinsten wendet.
Wer nun
fragt: „ Exzellenz, sie haben gar nichts gesagt über die Trockenheit, welche
auch die grossen Heiligen wie Mutter Theresa begleitet und herausgefordert hat?“
Entschuldigung! Das gehört auch dazu! Wer betet wie Mutter Theresa kann auch
das Leiden des Schweigens Gottes im richtigen Zusammenhang sehen. Ich denke
dabei an die ersten Worte des Psalms 22: „Mein
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bleibst fern meiner Rettung, den
Worten meines Schreiens? Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du gibst keine
Antwort; und bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe.“
Ich hoffe,
dass sie noch Gelegenheit haben werden, um auch noch andere Aspekte des Gebetes
zu vertiefen, des Gebetes, welches der Schlüssel zum Verständnis und zum Leben
unserer Taufberufung ist.
Vielleicht
setze ich ein wenig zu viel voraus, aber ich hoffe dass wir, wenn wir damit
beginnen das Herz und die Gedanken zu Gott zu erheben und wenn wir darin nicht
nachlassen, wenn wir dies privat und auch in der Gemeinschaft der Kirche tun,
dann können wir alle Herausforderungen des Lebens bewältigen.
Auf die Bitte
seiner Jünger «Herr, lehre uns beten!» hat
Jesus auch in grosser Einfachheit geantwortet und ihnen das „Vater unser“ ans
Herz gelegt. So ist es!
Gelobt
sei Jesus Christus!
PROPERANTES ADVENTUM DIEI DEI