Adoray – Brig
– Impuls – 26. Oktober 2018
Mk 10: 46-52
„Sie kamen
nach Jericho. Als er mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge Jericho
wieder verließ, saß an der Straße ein blinder Bettler, Bartimäus, der Sohn des
Timäus. Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazareth war, rief er laut: Sohn
Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir! Viele wurden ärgerlich und befahlen ihm zu
schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir!
Jesus blieb stehen und sagte: Ruft ihn her! Sie riefen den Blinden und sagten
zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er seinen Mantel weg,
sprang auf und lief auf Jesus zu. Und Jesus fragte ihn: Was soll ich dir tun?
Der Blinde antwortete: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können. Da sagte Jesus
zu ihm: Geh! Dein Glaube hat dir geholfen. Im gleichen Augenblick konnte er
wieder sehen, und er folgte Jesus auf seinem Weg.“
Gelobt sei Jesus Christus!
Nachfolge Christi: Was soll das sein? Oftmals habe ich
den Eindruck, dass die Analogien oder Vergleiche, die herangezogen werden um
die „Nachfolge Christi“ zu beschreiben, vor allem vom Bild des „Fan“ einer
Person inspiriert sind, also von Menschen, die vom Gefühl der Bewunderung für
die andere Person dazu geführt werden, diese nachzuahmen. Das eben gehörte
Evangelium zeigt aber, dass unsere Beziehung mit Gott in Jesus Christus nicht
anders sein kann als ein dialogischer Prozess. Daher ist die Nachfolge Christi
notwendigerweise ein dialogischer Prozess, weil der göttliche Wille die
menschliche Person respektiert. Gott kennt uns und aus Liebe zu uns, d.h. zu
unserem Wohl und zu unserer vollen Freude ruft er uns und lädt uns ein, unser
Leben mit dem seinen zu verbinden. Es sind nicht wir, welche die Regeln der
Nachfolge bestimmen und dennoch ist es für uns Glaubende eine Notwendigkeit,
ihm nachzufolgen. Wir entdecken den Weg zu Gott in Christus durch unser
Zwiegespräch mit dem Meister.
Wenn wir auf unsere säkularisierte Welt, besonders im
Westen, schauen, dann stellen wir fest, dass nicht wenige der Überzeugung sind,
dass es vernünftigerweise Ausnahmen von diesem Prinzip geben müsse. Also dass
es Getaufte geben müsste, für die eine Ausnahmeregelung gelten würde, so dass
diese nicht verpflichtet wären, ständig und eifrig hinter Jesus herzurennen. Es
sollte, im Denken dieser Menschen, möglich sein, als Christ zu leben, ohne sich
stets mit Gott beschäftigen zu müssen. Aber ist das möglich? Gibt es einen
gemässigten Katholizismus? Kann man katholisch leben, ohne ständig und mit Sehnsucht
das Antlitz Gottes zu suchen und danach zu fragen, wohin er mich senden möchte?
Die Antwort: NEIN! Und noch einmal Nein. Wir alle müssen ohne Vorbehalte Jesus
nachfolgen. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben, das Licht, das unseren
Weg erleuchtet.
Aber Nachfolge Christi: Was soll das sein?
„Viele wurden
ärgerlich und befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn
Davids, hab Erbarmen mit mir!“
Ich fürchte, dass wir allzu oft am Wegrand
stehenbleiben entmutigt oder erschöpft durch die andern oder auch durch eigene
Schuld, d.h. durch unseren Mangel an Vertrauen in unseren in Jesus
gegenwärtigen Gott. Wir bleiben stur da, wo wir sind, abseits vom wahren Leben,
fern von den geforderten Taten eingehüllt in den Mantel unserer Ängstlichkeit
und Unsicherheit, ja, blockiert von unserer Verzweiflung. Ohne zu übertreiben muss
ich sagen, dass ich den Eindruck habe, dass wir oftmals verständnislos und wie
betäubt vor dem Gott des Lebens stehen. Mein Wunsch für mich selbst und für die
andern wäre, dass wir Menschen begegnen könnten, welche auf das Wort Gottes
hören und in deren Worte und Taten wir Hilfe und Ermutigungen finden könnten um
selbst Jesus nachzufolgen, Jesus, der uns in seine Nachfolge ruft.
„Sie riefen den Blinden und sagten zu ihm: Hab
nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er seinen Mantel weg, sprang auf und
lief auf Jesus zu.“
Genau so war in der Geschichte der Kirche die Dynamik
der geistlichen Berufungen. Vom Glauben erfüllte Menschen wiesen anderen den
Weg, lenkten ihre Aufmerksamkeit auf Jesus, der sie rief, ihm zu folgen. Ich
erinnere mich zum Beispiel daran, dass meine Eltern mir erzählten, dass, als
ich etwa 10 Jahre alt war, die Schwester in der Schule meinem Vater sagte:
„Herr Gullickson, schauen sie mal, ihr Sohn hat eine Berufung zum Priestertum.“
Ganz einfach so vermittelt, wie in der Geschichte von Bartimäus! Andere, die
Jesus kennen, in diesem Fall meine Lehrerin in der Grundschule bemerkten den
Ruf Gottes und wiesen den Betroffenen, in unserem Fall meinen Vater, auf den
Ruf Gottes hin. „Thomas hat eine Berufung“; Jesus ruft ihn. Schweigend und betend
haben meine Eltern die Echtheit dieses Rufes erkannt, sie haben erkannt, dass
es Gott war, der ihren Sohn in die Nachfolge rief und dass andere da waren um
zu helfen, diesen Ruf zu erkennen.
Kürzlich habe ich ein französisches Video-Interview
mit einem jungen Dominikaner gesehen. Ein Mensch unserer Zeit, stand er da im
Gewand des Dominikaners und erzählte vom Unverständnis seiner Freunde, als er
ihnen davon erzählte, dass er sich entschieden habe, Gott in traditioneller
Weise nachzufolgen, in Armut, Gehorsam und Ehelosigkeit. Die Situation des
jungen Dominikaners glich voll und ganz derjenigen des Bartimäus im Evangelium.
Er schrie und betete um Hilfe, um den Willen Gottes zu erkennen, die Wahrheit
für sein Leben. Einige ermutigten ihn und halfen ihm, zum Herrn zu finden,
andere, die sogenannten Freunde entmutigten ihn und versuchten ihn davon
abzuhalten.
Das Faktum des Widerspruchs und Widerstandes und der
Kritik der Umgebung trifft nicht nur diejenigen, welche dem Ruf zum Priestertum
oder zum Ordensleben folgen wollen. Dasselbe gilt auch für die jungen Menschen,
welche nicht nur einfach in der Kirche heiraten wollen, sondern eine wirklich
christliche Ehe in Treue führen, Kinder mit Freude annehmen und ihre Kinder im
Glauben erziehen möchten. Alle diese sind, wie auch der Mann im Evangelium,
diejenigen, welche den Ruf des Herrn hören und ihm nachfolgen. Sie lassen sich
von anderen, die selbst ihr Vertrauen auf den Herrn setzen ermutigen. Jenseits
der katholischen Tradition des intensiven Dialoges mit Jesus und den Heiligen
gibt es nur Dunkelheit und Blindheit. Sollten wir uns in den Mantel der
Dunkelheit gehüllt befinden, der uns nicht vor der Kälte zu schützen mag, müssen
wir nicht der Verzweiflung erliegen. Wir können um Hilfe schreien, auch wenn
wir nicht genau wissen, an wen wir uns wenden sollen. Der Herr wird unser Rufen
hören. Wenn wir noch einmal auf Bartimäus schauen, den Blinden im Evangelium,
so scheint es, dass seine Not, die physische Blindheit die ihn dazu zwang, zu
betteln, es war, die geradezu zu seinem Glück wurde. Wenn Bartimäus nicht an
seiner Blindheit gelitten hätte, hätte er wohl kaum Jesus um Hilfe gebeten.
„Sie riefen
den Blinden und sagten zu ihm: Hab nur Mut, steh auf, er ruft dich. Da warf er
seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu.“
Man pflegt zu sagen, dass unser materieller Wohlstand
eher ein Nachteil als ein Vorteil sei, für unsere Beziehung zu Gott. Wer nicht
arm ist und wem nichts fehlt, der wird kaum zu Gott gehen und ihn um Hilfe
bitten. Hier haben wir den Sinn des Gleichnisses mit dem reichen Mann, der nur
schwer ins Himmelreich kommt. Eher kommt ein Kamel durch das Nadelöhr, als ein
reicher Mensch in den Himmel. Aber für Gott ist nichts unmöglich. Die
Gewohnheit der Christen, täglich zu beten, ist die Tat, die unsere Stellung als
Bettler vor dem Herrn und unsere totale Abhängigkeit von ihm zum Ausdruck
bringt. In allem, was im Leben wichtig ist, leben wir ganz aus Gottes Hand.
„Sobald er hörte, dass es Jesus von Nazareth
war, rief er laut: Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!“
Die Bitte des Bartimäus ist voll und ganz berechtigt
und entspricht unserer menschlichen Natur. Unser Leben hängt ganz von Gott ab
und wir sind Bettler vor dem Herrn. Das Betteln im Gebet nennen wir Bittgebet
oder Fürbittgebet. Wir sind Bedürftige und wer etwas braucht, der muss danach
verlangen und darum bitten um nicht ohne
oder einsam zu bleiben. In der heutigen Zeit beten in der westlichen Welt viele
nicht mehr, d.h. sie wissen gar nicht mehr, wie man betet. Sie haben es nie gelernt.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass das Gebet nicht hauptsächlich Meditation
oder Kontemplation ist, sondern ein kraftvoller Hilferuf, der in einen Lobpreis
über Gott mündet. Wir können dazu einfach an unsere klassischen Gebete denken:
Das „Vater Unser“ und das „Gegrüsst seist du Maria“. Immer loben
wir und immer bitten wir.
„Sohn Davids,
Jesus, hab Erbarmen mit mir!“
Wenn ich heute Abend eine Anregung für euch habe, so
ist es die Ermutigung zum Gebet. Die Ermutigung, ständig mit einem von ganzem
Herzen kommenden Schrei, Gott um Hilfe zu bitten.
„Sohn Davids, Jesus, hab Erbarmen mit mir!“
Genau so soll es sein. Die Mitte unseres Lebens –
zusammen mit den Sakramenten selbstverständlich – muss eine immerwährende
Ausrichtung auf Gott in Jesus Christus sein. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Ein
andauernder Hilferuf zu Gott, der unsere Abhängigkeit von ihm zu Ausdruck
bringt und bezeugt. Wir gehen durch diese Zeit in einem ständigen Zwiegespräch
mit ihm, unserem Herrn, der uns aus Liebe dazu beruft, ihm nachzufolgen, mit
ihm zu leben. Auf die Ermutigung durch andere hin dürfen wir unsere alten
Sicherheiten zurücklassen und ihm entgegengehen, dem Herrn, der uns ins Leben
führt.
“Da warf er
seinen Mantel weg, sprang auf und lief auf Jesus zu.“
Gelobt sei Jesus Christus!
PROPERANTES ADVENTUM DIEI DEI